Rotkäppchen Teil 50
 
 


   Rotkäppchen vom Sprachheilpädagogen erzählt

                         Annette Bork


Es war einmal ein kleines Mädchen, das von allen Rotkäppchen genannt
wurde, weil es von seiner Mutter jeden Tag ein rotes Mützchen
aufgesetzt bekam. Eines schönen Tages sagte die allein  erziehende und
restlos überforderte Mutter zu ihrer kleinen Tochter Rotkäppchen, sie
solle doch der vereinsamten Großmutter therapeutische Hilfen für die
Überwindung ihrer aktuellen destabilisierenden Disposition, einer
Erkältung, vorbei bringen.

"Essen und Trinken hält Leib und Seele zusammen!", belehrte die
fürsorgliche Mutter das Rotkäppchen und gab ihr einen Korb mit Brot
und Wein für die bedürftige Großmutter mit. "Und bleib mir ja auf dem
rechten Wege im dunklen Wald", fuhr die Mutter
verhaltenstherapeutisch-präventiv fort. "Du weißt ja, was mit solchen
unartigen Kindern passiert, die sich nicht an das Gesagte halten."
So ging das Rotkäppchen los. Als es im Wald an einem multisensorisch
reizenden Blumenfeld vorbeikam, reagierte es intuitiv und ging hinein.

Da trat der Wolf, der einen Aggressor verkörpert, an das Rotkäppchen
heran und verwickelte es in einen sprachtherapeutisch einfachen
Frage-Antwort-Dialog, in dem er erfuhr, dass es zu der kranken
Großmutter geht. Da der Wolf merkte, dass das Rotkäppchen so
begeistert von den Blumen und sehr konzentriert mit ihnen beschäftigt
war, schlich er sich davon und suchte die Großmutter auf. Er fraß die
Großmutter so schnell auf, dass diese überhaupt nicht mehr reagieren
konnte, und nahm ihre Familienposition ein.

Als das Rotkäppchen das Haus der Großmutter betrat, stieß ihm die
angespannte Atmosphäre im Zimmer auf, und es begann, die Großmutter
aus der Reserve zu locken.

"Ei, Großmutter, warum hast du so große Augen?", fragte es zögerlich.

"Damit meine Asthenie des Sehzentrums besser kompensiert wird."

"Ei, Großmutter, warum hast du so große Ohren?", fragte das
Rotkäppchen weiter.

"Damit ich Klänge und Geräusche besser unterscheiden kann."

"Ei Großmutter, warum hast du so ein entsetzlich großes Maul?", fragte
es immer selbstbewusster.

"Damit ich mein Sprechen besser kinetisch-kinästhetisch kontrollieren
kann."

Da machte der böse Wolf auch das Rotkäppchen zu einer eigenen
physischen Disposition und legt sich anschließend zum Abbau nervlicher
Spannungen schlafen. Er schnarchte so laut, dass der vorbeikommende
Jäger gar nicht umher kam, ein schlaffes Gaumensegel zu vermuten. Er
verletzte die Privatsphäre der Großmutter und betrat ihr Haus, um dem
Wolf die körperliche Belastung aus dem Bauch zu therapieren. Er war
etwas verunsichert, was sich in motorischer Unruhe äußerte, aber er
machte methodisch exakte Schnitte am Bauch des Wolfs und befreite die
traumatisierte Großmutter und das Rotkäppchen. Um einen Placebo-Effekt
herbeizuführen legte der Jäger dem Wolf viele große naturbelassene
Wackersteine in den Bauch und beendete die Therapie erfolgreich. Als
der Wolf erwachte, taumelte er mit unterspannter Körperhaltung zum
nächsten Brunnen und fiel hinein. Das Rotkäppchen schwor sich, eine
Verhaltenstherapie zu machen, um nicht mehr so impulsiv auf Reize zu
reagieren. Alle Bewohner der Umgebung versammelten sich am Hause der
Großmutter und gründeten eine Selbsthilfegruppe für von Wölfen
geschädigte Menschen.

Und wenn sie nicht gestorben sind, dann fühlen sie sich noch heute
missverstanden.
 
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