Rotkäppchen verwirrt
Es war einmal ein großer schrecklicher Wolf, den hasste jedermann, der ihn ansah, am allermeisten aber der Jäger, der schon lange nach einer Möglichkeit suchte, ihn zu erschießen. Einmal sah der Wolf, wie ein kleines Mädchen mit einer roten Kappe durch den Wald ging.
"Guten Tag, Rotkäppchen", sprach er.
"Schönen Dank, Wolf."
"Wo hinaus so früh, Rotkäppchen?"
"Zur Großmutter."
"Was trägst du da unter der Schürze?"
"Kuchen und Wein: gestern haben wir gebacken, damit soll sich die kranke und schwache Großmutter stärken."
"Rotkäppchen, wo wohnt deine Großmutter?"
"Noch gut eine Viertelstunde weiter im Wald, unten bei den drei großen Eichenbäumen, da steht ihr Haus", sagte Rotkäppchen.
Da kam dem Wolf eine Idee. Er hatte nun schon lange keine Menschen mehr gefressen, und hungrig wie er war, kamen ihm Rotkäppchen und ihre Großmutter da gerade recht. Da er sich aber für besonders listig hielt, dachte er sich: "Zuerst werde ich mir die Alte schnappen. Das Rotkäppchen wird dann mein Nachtisch werden", und so blickte er dem Mädchen nach, wie es fröhlich durch den Wald lief.
Ein paar Tage später machte sich der Wolf daran, seinen Plan in die Tat umzusetzen. Im nächsten Dorf stahl er ein Kleid und eine rote Mütze von der Wäscheleine. Er verkleidete sich und lief dann zum Haus von Rotkäppchens Großmutter. Der Wolf klopfte an die Tür, und als eine Stimme fragte "Wer ist da?", sagte er: "Ich bin es, das Rotkäppchen."
"Komm nur herein", sagte die Stimme von drinnen.
Der Wolf trat ein, und sah die Großmutter im Bett liegen.
"Rotkäppchen, was hast du für große Ohren?" sagte die Großmutter, als sie ihren Besucher erblickte.
"Damit ich dich besser hören kann, Großmütterchen. Aber warum hast du eigentlich so eine tiefe Stimme?"
"Ich bin ein bisschen heiser", antwortete die Großmutter.
"Aber Rotkäppchen, was hast du für große Augen?"
"Damit ich dich besser sehen kann", sagte der Wolf.
"Großmutter, warum sind denn deine Füße so groß?"
"Das kommt vom vielen Liegen", seufzte die Großmutter.
"Du weißt ja, ich kann nicht aufstehen, weil ich krank bin. Du siehst aber gut aus, Rotkäppchen. Aber seit wann hast du so große Hände?"
"Damit ich dich besser packen kann, natürlich", grinste der Wolf, aber dann stutzte er.
"Was hast du für große Arme unter deiner Bettdecke, Großmutter?"
"Damit ich dich besser erschießen kann!" rief die Großmutter und zog, während sie aus dem Bett sprang, die Flinte hervor. Dabei fiel die Haube herunter, und die Perücke verrutschte. "Aber ...", sagte der Wolf verdutzt. "Du bist ja gar nicht die Großmutter."
"Tatsächlich?" sagte der Jäger, der immer noch das Kleid der Großmutter anhatte, und erschoss den Wolf. Auf diesen Moment hatte er schon lange gewartet, und er war froh, dass ihm die Idee gekommen war, sich zu verkleiden.
Die wirkliche Großmutter allerdings, die vom Vorhaben des Jägers nichts gewusst hatte, kam gerade in diesem Moment vom Einkaufen zurück (ihr ging es schon wieder besser, so dass sie sich nun ihren Kuchen und Wein selbst besorgen konnte). Sie schaute von weitem durch das Fenster ihrer Hütte, und sah, wie der Jäger mit dem Gewehr auf jemanden zielte, der aussah wie ihr Rotkäppchen.
"Nein!!" schrie sie, und stürmte auf das Haus zu. "Was ist denn los?" sagte eine Stimme hinter ihr, und als sich die Großmutter umdrehte, erblickte sie Rotkäppchen. Die Großmutter umarmte Rotkäppchen unter Freudentränen, und zusammen gingen sie dann zum Haus. "Ach, du hast endlich den Wolf erledigt", sagte Rotkäppchen zum Jäger. "Ja, Rotkäppchen. Es war gut, dass du mir erzählt hast, dass er hier herumläuft. Ohne deine Hilfe hätte ich das nie geschafft." Rotkäppchen grinste. "Der dumme Wolf hat tatsächlich gedacht, ich wüsste nicht, wie böse er ist."